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Leben auf dem Campus
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Das etwas andere Wohnheim

Wer bei Studentenwohnheimen gleich an schmale Hochhäuser denkt, in denen junge Menschen aus aller Welt anonym in engen Zimmern nebeneinanderher leben, mag oft Recht haben. Dass es auch anders geht, beweisen Studentinnen und Studenten der TU. Seit den 80er Jahren gibt es am Rande des Campus, direkt im Wald gelegen, eine ganz besondere studentische Unterkunft, die auf den ersten Blick an ein Gewächshaus erinnert. Hier leben 20 Bewohner wie in einer großen Wohngemeinschaft zusammen. Neben ihrem Studium halten sie abwechselnd das Haus sauber, kümmern sich um ihre eigenen kleinen Gärten, füttern drei Hühner und versorgen eine Katze.

Von Unispectrum live

Nichts erinnert hier auf den ersten Blick an ein Wohnheim. Ein Gewächshaus im Wald – das ist wohl das Erste, was Besuchern durch den Kopf geht, wenn sie vor dem Gebäude stehen. Die vermeintlichen Glasscheiben entpuppen sich beim Näherkommen als eine große Luftkissenplane. Beim Betreten des Foyers fällt der Blick zunächst auf einen großen rot-orangefarbene Stein, der in der Mitte des Raumes platziert ist und einem Termitenhügel ähnelt. An den weißen Wänden zu seiner rechten und linken wachsen Weinranken wild nach oben in Richtung Sonne. Dahinter steht ein Feigenbaum, der bereits Früchte trägt. Ein paar Meter daneben wächst ein großer Bambus. Das Ambiente lässt Urlaubsgefühle aufkommen – erinnert an Gegenden rund ums Mittelmeer oder die weiten Savannen Afrikas – nicht jedoch an den Pfälzer Wald oder gar einen Uni-Campus.

Hoch oben an der Decke zwitschert ein Vogel. Es ist aber kein exotisches Tier aus den Tropen, sondern eine Meise. „Die hat sich hier hinein verirrt“, sagt Marcus Kappel. Er ist einer der Bewohner, die in diesem ESA-Wohnheim leben. ESA steht für „Energiesparende Studentenwohnheim Architektur“. Das Haus bietet Platz für 20 junge Menschen.

Vom Foyer gehen links und rechts terrassenförmige Gebäudeteile ab. Neben den unterschiedlich großen Zimmern, die auf drei Stockwerke verteilt sind, gibt es noch eine Küche, ein Wohnzimmer, Bäder sowie Kellerräume für Fahrräder, Waschmaschinen, Vorräte und Getränke. In der Küche im ersten Stock spielt sich ein großer Teil des Gemeinschaftslebens ab. Hier stehen zwei Herde mit acht Platten, viele Kühlschränke und Regale für Vorräte. Ein großer Esstisch steht am Fenster – der Blick heraus führt mitten ins Grüne. Auch die Katze hat hier ihren Fressplatz. „Sie gehört gewissermaßen zur Familie und soll das Haus von Mäusen und anderen Ungeziefer freihalten“, sagt Kappel.

Zum Lernen ziehen sich die Bewohner gerne ins Wohnzimmer zurück, in das man über eine schmale Treppe in der Küche gelangt. Hier oben hat man schnell das Gefühl, dass die Zeit schon vor einer Weile stehen geblieben ist: In der linken Ecke steht ein Kiefernholztisch mit zahlreichen Bänken und Stühlen, daneben ein verstaubter und in die Jahre gekommener Tischkicker. Rechts im Zimmer stehen auf kleinen Regalen zwei alte Röhrenfernseher. „Viel Ferngesehen wird hier oben nicht“, lacht Kappel. Gegenüber steht ein großes Sofa, auf dem hin und wieder Gäste einen Platz zum Schlafen finden. Einmal im Jahr findet hier oben direkt unter dem Dach das Weihnachtsessen der Hausbewohner statt. Dazu wird im Vorfeld meist tagelang in der Küche geschnippelt, gehackt und gebrutzelt. Insgesamt stehen in diesem Wohnheim das Wir-Gefühl und die Gemeinschaft im Mittelpunkt. „Das Miteinander hier funktioniert gut“, so Kappel. Man lebe nicht anonym wie in anderen Wohnheimen. „Vor einer anstehenden Klausur wünschen wir uns zum Beispiel gegenseitig Glück, im Sommer wird gemeinsam gegrillt.“

Die Zimmer sind unterschiedlich groß und zum Teil möbliert. Zu jedem Zimmer gehört ein eigener kleiner Garten oder eine Terrasse. „Wir achten bei unseren Auswahlgesprächen immer darauf, ob künftige Mitbewohner sich unter anderem für Gartenarbeit interessieren“, sagt Kappel, der stellvertretender Wohnheimsprecher ist. Denn unter der Plane herrscht ein ähnliches Klima vor wie in einem Gewächshaus – so bepflanzen die Bewohner ihre Gärten mit zahlreiche Gemüse- und Kräutersorten.

Das Wohnheim liegt nur circa fünf Gehminuten vom Campus entfernt – aber dennoch im Wald, sodass schnell das Gefühl von Abgeschiedenheit aufkommt. Ein Vorteil wie Jakob Herz weiß: „Ich kann hier gut vom Uni-Alltag abschalten.“ Herz studiert im ersten Semester Biophysik. Schon vor seinem Studium habe er von ehemaligen Mitbewohnern vom ESA-Wohnheim gehört und sich hier beworben.

Die Bewohner teilen die anstehenden Alltagsaufgaben untereinander auf. Abwechselnd halten sie etwa Küche und Foyer sauber. „Vor jedem Semesterbeginn findet ein großer Hausputz statt, bei dem wir alles auf Vordermann bringen“, so Herz. Freiwillig versorgen einige der Mitbewohner drei Hühner, die neben dem Haus in einem eigens gebauten Stall wohnen: Jeden Morgen werden sie gefüttert, in den Wald gelassen und abends wieder eingesammelt. Einer von ihnen kümmert sich außerdem einmal im Monat bei einem Großeinkauf um Getränke. „Alle Mitbewohner zahlen monatlich eine ESA-Steuer in Höhe von fünf Euro“, berichtet Herz. „Davon werden Gewürze, Spülmittel, Katzenfutter und weitere Kleinigkeiten gekauft.“

Vor jedem Semesterbeginn findet ein großer Hausputz statt, bei dem wir alles auf Vordermann bringen

Jakob Herz

Das ESA-Wohnheim kann schon auf eine lange Geschichte zurückblicken. Es wurde in den 80er Jahren von Professoren und Studenten gebaut. Damals kam die Idee vom energieeffizienten Wohnen erstmals richtig auf. Auch an der TU hat man sich dem Thema angenommen und das Wohnheim errichtet. „Es wurde zunächst keine Heizung eingebaut, weil man annahm, dass die Sonnenstrahlen reichen würden, um das Gebäude gut zu erwärmen“, weiß Herz. „Allerdings hat das nicht funktioniert, sodass nachträglich eine Heizung eingebaut werden musste.“ Heute spielt der Aspekt des Energiesparens eine eher untergeordnete Rolle. „Es gibt zwar Solaranlagen auf dem Dach, aber energieeffizient ist das Haus nach heutigen Gesichtspunkten leider nicht mehr“, so Kappel. „Stattdessen stehen bei diesem Wohnprojekt nun die zwischenmenschliche Komponenten im Vordergrund: gerade in Hinblick auf die immer weiter steigenden Anforderungen an Studierende wird das gemeinsame Miteinander und die soziale Integration der Bewohner immer wichtiger.“

Regelmäßig kommen die Bewohner auch mit Spaziergängern ins Gespräch, die beim Vorbeigehen neugierig geworden sind. Auch unter den Kindern des nahegelegenen Kindergartens ist das Haus bekannt und eine regelmäßige Anlaufstelle bei Ausflügen. „Sie sind immer begeistert“, weiß Kappel. Darüber hinaus stellen die Bewohner ihr Haus bei verschiedenen Veranstaltungen der breiten Öffentlichkeit vor – etwa bei der Nacht, die Wissen schafft. Aber auch bei der Uni-Villa-Wanderung sowie bei Veranstaltungen des Asta.

In den kommenden Jahren endet der Pachtvertrag mit dem Land Rheinland-Pfalz. Ob das Studierendenwerk, der Träger des Wohnheims, ihn noch einmal verlängern kann, ist derzeit unklar. „Wir hoffen sehr, dass es hier weitergeht“, so Herz. Denkbar sei beispielsweise eine Sanierung des Gebäudes unter heute gültigen energieeffizienten Aspekten – das ließe sich beispielsweise als studentisches Projekt in der Architektur oder dem Bauingenieurwesen in die Wege leiten. So kommen dann vielleicht die Kinder des nahegelegenen Kindergartens in 20 Jahren gerne hier her, um das Gebäude und den Garten zu erkunden.

Bild des Benutzers Melanie Löw
Erstellt
am 13.04.2016 von
Melanie Löw