
Zweisprachigkeit und der Wandel von Sprachen
Wie Zweisprachigkeit die Entwicklung von Sprachen beeinflusst, untersucht eine Forschungsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Mit dabei ist auch Professorin Dr. Shanley Allen von der TUK. Vor einem Monat ist das Projekt gestartet.
„Was guckst du?“, „Bin ich Kino?“ oder „Ich bin Schule“ – Sätze wie diese hört man oft bei Jugendlichen. Sie werden in der Regel der Kiezsprache zugeordnet. Dabei machen Beispiele wie dieses eins deutlich: Sprache ist im Wandel, wobei dies vor allem in der Umgangssprache zu beobachten ist. Auch Menschen, die zweisprachig sind, beeinflussen die Sprache. Dies lässt sich zum Beispiel im Türkischen beobachten, das von Türken gesprochen wird, die bereits in der zweiten Generation hier heimisch sind. Sie nutzen das Zahlwort für „eins“ genauso wie im Deutschen, obwohl es im Türkischen, etwa bei „Ich esse einen Apfel“, nicht vorkommt.
Welche Folgen eine solche Zweisprachigkeit genau hat, untersucht eine neue Forschungsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft, an der fünf Universitäten beteiligt sind. Mit dabei ist auch Professorin Dr. Shanley Allen von der TUK. Im Fokus des Projektes stehen die sogenannte „Heritage“-Sprache und die Mehrheitssprache. „Heritage stammt aus dem Englischen und heißt Erbe“, sagt Allen. „Mit dem Begriff bezeichnet man die Sprache, die zum kulturellen Erbe der Familie gehört, etwa weil die (Groß)eltern ausgewandert sind.“ Bei der Mehrheitssprache handelt es sich im Gegensatz dazu um die Sprache, die in der neuen Heimat gesprochen wird.
„Uns interessieren in diesem Projekt Menschen, die beispielsweise in der Kindheit mit ihren Eltern in ein anderes Land ausgewandert sind“, sagt die Professorin, die selbst aus Kanada stammt und in Kaiserslautern zu Psycholinguistik und Sprachentwicklung forscht. Dabei lässt sich meist beobachten, dass die Kinder mit der Sprache der neuen Heimat besser zurechtkommen als mit der Sprache der Eltern. „Wie gut die Kinder die Sprache der Eltern beherrschen, hängt aber auch davon ab, ob sie die Sprache nicht nur zu Hause nutzen, um über Alltägliches zu reden. In vielen Kulturkreisen gibt es dafür zum Beispiel Sprachschulen am Samstag, in denen die Kinder die andere Sprache sprechen und so auch einen komplexeren Wortschatz nutzen, als dies zu Hause der Fall ist.“
„In dem Forschungsvorhaben geht es darum, die Unterschiede in Satzbau und Wortfolge von Heritage-Sprechern sowohl in ihrer Heritage-Sprache als auch in ihrer Mehrheitssprache im Vergleich zu Muttersprachlern zu untersuchen und zum Teil auch darum, wie die Herkunftssprache die Mehrheitssprache beeinflusst und umgekehrt“, sagt Allen. Im Fokus stehen hierbei Griechisch, Türkisch, Deutsch, Russisch und Englisch. Dabei untersuchen die Forscherteams zum einen, wie sich Griechisch, Türkisch, Russisch und Englisch auf das Deutsche, aber auch wie sich Griechisch, Türkisch, Russisch, Deutsch auf das Englische auswirken.
Bei Jugendlichen entwickelt sich die Sprache noch. Sie sind offen für Neues. Das möchten wir uns näher anschauen und dabei mit Erwachsenen vergleichen, die in der Sprache nicht mehr so flexibel sind.
Professorin Dr. Shanley Allen
Darüber hinaus gehen die Teams der Frage nach, inwieweit die Heritage-Sprecher den Satzbau der Umgangssprache in die formelle Sprache übernehmen, obwohl die Muttersprachler dies gewöhnlich nicht tun. Auch möchten die Forschergruppen herausfinden, wie normale Entwicklungsprozesse bei verschiedenen Sprachen ablaufen und wie die Umgangssprache die formelle Sprache beeinflusst. „Die vielfältigen Vergleiche durch die verschiedenen Sprachen im Projekt erlauben es uns, diese Möglichkeiten voneinander zu unterscheiden“, so die Kaiserslauterer Professorin weiter. Das Team um Allen wird sich an der TUK damit beschäftigen, wie sich das Englische in den USA durch Heritage-Sprachen ändert und umgekehrt.
Dazu werden die Linguistin und ihr Team unter anderem Sprachtests mit zwei Probandengruppen durchführen: einmal mit Jugendlichen um die 16 Jahre als auch mit Erwachsenen zwischen 25 und 35 Jahren. „Bei Jugendlichen entwickelt sich die Sprache noch. Sie sind offen für Neues. Das möchten wir uns näher anschauen und dabei mit Erwachsenen vergleichen, die in der Sprache nicht mehr so flexibel sind“, sagt Allen.
In der Studie werden sie den Probanden eine Reihe von Bildern zeigen, auf denen eine Geschichte zu sehen ist – zum Beispiel wie eine Fahrradfahrerin von einem Auto angefahren wird. „Sie müssen erzählen und aufschreiben, was sie gesehen haben und zwar auf formelle Weise als auch in Umgangssprache“, erläutert die Professorin den Aufbau des Experiments. Dabei geht es von einem Gespräch mit einem Freund über das Geschehene über einen Anruf bei der Polizei und einer SMS bis zu einem Schreiben an die Polizei. „Wir wollen hier auch die Unterschiede zwischen Umgangssprache und formeller Sprache herausstellen, und ob und wie die Umgangssprache die formelle Sprache beeinflusst.“
Das Team um Allen wird hierbei unter anderem den Satzbau unter die Lupe nehmen und untersuchen, in wie weit sich die Reihenfolge der Wörter unterscheidet. Nutzen die Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern zum Beispiel den gleichen Satzbau? Oder kann man je nach Herkunftssprache Unterschiede feststellen? Der Satz „Dann wir gehen woanders hin“ passt eher zu jemandem, der griechische Wurzeln hat, wohingegen der Satz „Hier `ne Frau ist grad über Rot gefahren“ vom Satzbau eher ans Russische angelehnt ist. Nutzen Herkunftssprachler einen unterschiedlichen Satzbau, der auf ihre Herkunft schließen lässt? Wenn ja, wie unterscheidet sich dies von Muttersprachlern? Oder handelt es sich hierbei um die natürliche Entwicklung von Sprache? Antworten auf solche Fragen soll die neue Forschungsgruppe in den kommenden Jahren liefern.
Auf einen Blick:
Die Forschungsgruppe mit dem Titel „Grammatische Dynamiken im Sprachkontakt: ein komparativer Ansatz“ bündelt acht verschiedene linguistische Einzelprojekte an der Universität Potsdam, der Humboldt-Universität zu Berlin, der Universität Stuttgart, dem Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS), der TUK und der Universität Mannheim in den kommenden drei Jahren zusammen. Dabei hat die Forschungsgruppe renommierte Expertinnen an Bord: Professorin Dr. Maria Polinsky von der Universität of Maryland und Professorin Dr. Shana Polack von der Universität of Ottawa. Die Projektleitung liegt bei der Universität Potsdam.

am 02.05.2018 von
Melanie Löw